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Essen aus der Mülltonne
Essen aus der Mülltonne, Containern oder Dumpstern, es gibt Menschen die Lebensmittel von Supermärkten aus den Mülltonnen holen und diese essen. Hier erfährst du mehr zu dem Thema.
Laut dem Journalisten Valentin Thurn landet die Hälfte aller Lebensmittel im Müll. Darauf macht schon seit mehr als zehn Jahren die Foodsharing-Bewegung aufmerksam. Statt Überproduktion und Wegwerfmentalität hinzunehmen, wollen immer mehr Menschen einen fairen Umgang mit Lebensmitteln und ihren Produzent*innen erreichen.
Leise Musik mischt sich mit Gesprächen und dem Klingeln der Stadtbahn, die draußen in die Endhaltestelle einfährt. Drei junge Leute mit Hoodies diskutieren angeregt, am Nebentisch tippt eine Studentin etwas in ihren Laptop, schräg gegenüber prostet sich ein Paar mit einem Glas Rotwein zu. Es ist hier ein bisschen wie im Wohnzimmer. Mit Zimmerpflanzen und einer kuscheligen Sofaecke, mit Tulpen auf den Tischen, die erste Frühlingsstimmung verbreiten. Und wer möchte, holt sich etwas zum Essen. Wie die ältere Frau, die sich erst in eine Zeitung vertieft und später aus einem Kühlschrank einen abgepackten Salatteller nimmt. Oder das junge Paar, das sich aus dem daneben liegenden Regal ein paar Brötchen aussucht und gut gelaunt das Café verlässt. „Fairteiler“ heißen Kühlschrank und Brottheke, die in einer Trennwand integriert und das Herzstück der "Raupe Immersatt" sind – dem ersten Foodsharing-Café Deutschlands. Lebensmittel, die sonst in der Mülltonne gelandet wären, finden hier neue Abnehmer*innen. Hergebracht haben Brot, Gemüse & Co. ehrenamtliche Foodsaver*innen aus Läden, Supermärkten und Restaurants sowie Gastronom*innen oder Privatleute, die zu viel eingekauft haben.
In der "Raupe Immersatt" gibt’s genug für alle
Als Besucherin der ersten Stunde bezeichnet sich Rike, die nur mit dem Vornamen genannt werden möchte und ein paar Straßen weiter wohnt. Nachdem das Café am Stuttgarter Hölderlinplatz im Juni 2019 eröffnete, hatte Rike hier einen Lieblingsplatz gefunden. Ihr gefallen das engagierte Raupen-Team, die unterschiedlichen Gäste und die Biogetränke, die von kleinen, häufig regionalen Unternehmen stammen. „Und ich finde das System gut, dass man soviel für die Getränke gibt, wie man zahlen kann“, sagt sie. So kommen auch Ausgehfreudige mit weniger Geld in den Genuss von Öko-Limo oder -Bier.
Dass dieses Konzept aufgeht, freut Katrin Scherer, die mit Maximilian Kraft Vorsitzende des Vereins "Raupe Immersatt" ist. „Alle Festangestellten werden durch den Getränkeverkauf finanziert“, erklärt Katrin Scherer. Sie macht nicht nur die Öffentlichkeits- und Verwaltungsarbeit, sondern lässt im Café auch die Kaffeemaschine zischen und serviert heiße Schokolade, Saftschorlen, Kräutertee, Bier und Wein. Sie erzählt, wie das Raupen-Team mit viel Schwung und Idealismus gestartet ist – und kurz danach wegen Coronaausbruchs gebremst wurde. „Das war ein herber Schlag und hat krass Nerven gekostet“, sagt sie. Doch sie haben trotzdem mit viel Fantasie weitergemacht. Haben Getränke to go“verkauft und gerettete Lebensmittel über die Theke weitergegeben. Weil Kunst, Theater, Lesungen, Vorträge oder Workshops lange Zeit in Innenräumen nicht möglich waren, hat das Raupen-Team in der Nachbarschaft ein kleines Open-Air-Festival organisiert. Dass das Foodsharing-Café auch ein Kulturtreff ist, findet Rike prima: „Ich habe hier das beste Tangokonzert der Welt gehört“, sagt sie.
Stuttgart ist Foodsharing-Stadt – bundesweit die erste mit mehr als 500.000 Einwohner*innen
Um noch mehr Essbares zu retten, ist Stuttgart Ende 2022 zur Foodsharing-Stadt geworden.„Das ist ein tolles Zeichen“, sagt Katrin Scherer. Davor hat die Stadt dem Raupen-Team schon zwei Vollzeitstellen für die Vorstandsarbeit finanziert. Wenn nun noch auf Bundesebene mehr gegen Lebensmittelverschwendung im Handel passieren würde, dann wäre das ein Schritt in die richtige Richtung, findet die Raupen-Vorsitzende. Für Stuttgart wünscht sie sich zusätzlich kommunal betreute Fairteiler – wie es sie etwa schon im Tübinger Rathaus gibt. Denn schon manche der öffentlich zugänglichen Schränke zum Retten der Lebensmittel mussten in Stuttgart geschlossen werden, weil sie nicht die hygienischen Standards erfüllt haben.
Fairteiler dürfen nicht vergammelt sein
Das kann Rike aus eigener Erfahrung bestätigen, denn sie hilft öfter einer Foodsaverin beim Verteilen. „Schon das Abholen der Lebensmittel ist teilweise grenzwertig“, sagt sie. „Das findet oft im Hinterhof der Läden statt, wo es schmuddelig ist und die Plastikkisten mit teilweise schon vergammelten Sachen auf dem Boden stehen.“ Deshalb findet es Rike in der "Raupe Immersatt" so angenehm, weil hier die Fairteiler immer blitzblank sauber sind.
Zu den konkreten Plänen der frischgebackenen Foodsharing-Stadt kann Sabine Weick noch nicht viel sagen. Sie ist die Koordinatorin für klimafreundliche Ernährung bei der Landeshauptstadt Stuttgart. Als Erstes will sie Foodsaver- und Verteil-Initiativen wie HarrysBude oder Suppoptimal mit Akteur*innen aus Landwirtschaft, Handel und Politik zusammenbringen.
„Wir möchten auf das Thema Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen, uns vernetzen und austauschen“
, sagt Sabine Weick. Denn allein 59 Prozent der Lebensmittelabfälle in Deutschland kämen aus privaten Haushalten.
Wer verschwendet die meisten Lebensmittel?
59 Prozent? Valentin Thurn zweifelt die Zahlen, die auch die bundesweite Initiative "Zu gut für die Tonne"verwendet, an. Der Regisseur hat 2011 das Problem der Essensvergeudung in eindrücklichen Bildern gezeigt und die Foodsharing-Bewegung angestoßen. Sein Film "Taste the Waste“ deckte Verschwendung im ganz großen Stil auf. Gute Kartoffeln der falschen Größe, die auf dem Feld liegen bleiben. Groß- und Supermärkte, die aufgrund von Druckstellen oder welken Blättern palettenweise Obst und Gemüse wegkippen lassen. Oder gezeigte Lastwagen auf der Müllhalde voller Küchenschätze, bei denen das Mindesthaltbarkeitsdatum abzulaufen droht.
„Wir müssen die Müllmengen richtig messen, die Prozentzahlen in der Statistik sind unzulässig“
, sagt Valentin Thurn am Telefon. Dass in der Landwirtschaft nur 2 Prozent der Lebensmittelabfälle und im Handel 7 Prozent anfallen sollen, hält der Journalist für nicht korrekt. „Die Zahlen sind nur deshalb so gering, weil der Handel sie selbst beliefert und all das, was auf dem Acker untergepflügt wird, nicht als Müll definiert ist“, sagt Thurn. Er schätzt den Abfallberg der Verbraucher*innen auf 40 bis 45 Prozent. „Das ist immer noch hoch, aber nicht mehr als die Hälfte.“
Wir müssen Lebensmittel mehr wertschätzen – und anders produzieren
Mit dem Engagement von Initiativen wie die "Tafel" und mehr als 200.000 aktiven Foodsavern ist Valentin Thurn rund ein Jahrzehnt nach der Premiere seines Films „sehr zufrieden“. Nicht aber mit der Menge des vergeudeten Essens. „Das System kann nur geändert werden, wenn es verbindliche, gesetzliche Vorgaben gibt“, sagt er. So wie in Frankreich und Tschechien, wo es Supermärkten verboten sei, essbare Lebensmittel wegzuwerfen. In Italien und Finnland würden Lebensmittelretter*innen mit Steuernachlässen belohnt.
Am besten ist es natürlich, wenn Überschüsse gar nicht erst entstehen. Wie das geht, zeigt etwa das Netzwerk "Solidarische Landwirtschaft" (solawi). Private Haushalte teilen sich dabei die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs – und erhalten dafür knackig-frisches Obst und Gemüse direkt vom Feld. Selbstverwaltete Biomitgliederläden wie "Plattsalat" in Stuttgart und in Kernen fördern kleinere Produzent*innen. Und die Einkäufer*innen bestimmen selbst, was in die Regale kommt. Zu Plattsalat gehört auch der Unverpacktladen "Wandelhandel", der die Veränderung schon im Namen trägt. Von Amaranth bis Zitrone: In Essensspendern, Schütten, Gläsern, Kühltheken und Körben findet sich alles zum Selbstabfüllen.
„Wir möchten den alltäglichen Konsum verändern“
, sagt Johanna Nocke, die mit Fabian Stuhlinger das Ladenkonzept erarbeitet hat. Dazu gehört auch ein Fairteiler, eine Bildungsplattform und ein kleines Café, in dem alle das zahlen, was sie können. Die komplette Einrichtung besteht aus gebrauchten und geschenkten Materialien, wie beispielsweise einem Messestand. Sogar ein Architekt meldete sich, der einen Monat lang das Team kostenlos unterstützt hat. „Das ist alles irgendwie zusammengewachsen“, sagt Johanna Nocke.
Beispiele wie diese machen Mut, dass es möglich ist: Überproduktion stoppen, Müll vermeiden, Produzent*innen fair behandeln, sich gegenseitig unterstützen. Und dabei noch richtig gut leben – und essen.
Reste-Rezepte für tolle Tafeln
Mittlerweile gibt es viele Bücher und Links zum Thema Lebensmittel retten. Margit Proebst zeigt beispielsweise in „Das ganze Brot“, was sich aus harten Backwaren zaubern lässt: Pilzknödel, Gemüseaufläufe, Brotsalat, Bruschetta oder sogar Crustini. „Wirf mich nicht weg“ heißt ein Kochbuch des Ideenportals "Smarticular" mit vielen Tipps gegen die Verschwendung. Da werden Blumenkohlblätter zu feurigen Chips oder aus hartem Brot, das in verquirlter Ei-Milch in der Pfanne mit Zimt und Zucker angebraten wird, werden „Arme Ritter“ gezaubert. Überraschende Rezepte teilt die Youtuberin Andrea Sokol in ihrem „Das Alles-verwenden-Kochbuch“. Aus Bananenschalen (wegen der Pestizide darauf achten, dass sie Bio sind) macht sie knusprige Snacks und aus Kohlrabiblättern leckeren Spinat. Wer sich inspirieren lassen möchte, kann auch online im WWF-Kochbüchlein blättern oder über die Seiten von "Zugut für die Tonne" vorhandene Reste eingeben und Kochvorschläge bekommen.
Selbst Starköch*innen setzen auf die Resteverwertung. Wie Sarah Wiener, die bei "Deutschlandfunk Kultur" ein blitzschnelles Rezept für eine Gemüsebrühe verraten hat. Oder Jamie Oliver, der Brot vor dem Abfalleimer rettet. Er verfeinert damit Pastasaucen, Lasagne, Salate und mehr.
Und jetzt noch ein leckeresRezept der "Raupe Immersatt" mit Bananen, die schon braun werden: Veganes Bananenbrot
Zutaten:
4 sehr reife Bananen (etwa 400 g)
80 g geschmacksneutrales Öl (z.B. Sonnenblumenöl)
80 g Zucker
250 g Mehl (Weizen oder Dinkel)
10 g Backpulver
Etwas Zimt
Optional: 100 g vegane Schokolade, 100 g gemahlene Nüsse (z. B. Haselnüsse, Mandeln), ein paar gehackte Nüsse
Zubereitung:
Den Backofen auf 170 Grad Umluft (185 Grad Ober- und Unterhitze) vorheizen.
Die Bananen mit der Gabel zerdrücken und anschließend mit dem Sonnenblumenöl und dem Zucker verrühren.
Nun Mehl, Backpulver und Zimt hinzugeben und den Teig kurz umrühren, bis er cremig ist.
Die Schokolade hacken und ganz zum Schluss unter den Teig heben.
Die Kastenform einfetten und den Teig in die Form geben.
Das Bananenbrot muss nun für etwa 50 Minuten backen. Mit dem Holzstäbchentest prüfen, ob der Kuchen durch ist. Ggf. noch etwas länger backen.
Text von
Annik Aicher
Bilder von
foodsharing e.V. , Raphaelfellmer.de (Titelbild)
Raupe Immersatt e.V. (Bild Nr. 1-4,9)
foodsharing e.V. Bild Nr. 5-8
Victoria Alexandrova Bild Nr. 10
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Autor*in: Laura Weinfurter Titel: Essen aus der Mülltonne - Dumpstern - Beweggründe und Praktiken Verlag: AV Akademikerverlag Medium: Buch Buchform: Taschenbuch Erscheinungsdatum: 17.03.2017 Sprache: Deutsch ISBN: 978-3-330-51569-7
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Raphael Fellmer hat vor ein paar Jahren den Selbstversuch gewagt, ohne Geld zu leben. Während dieser Zeit spielte auch Containern eine wichtige Rolle.
Autor*in: Raphael Fellmer Titel: Glücklich ohne Geld! - Wie ich ohne einen Cent besser und ökologischer lebe Unterstützer-Edition Verlag: Redline Buchform: eBook Erscheinungsdatum: 07.11.2013 Sprache: Deutsch EAN: 9783864146565