KreativitätKreativitätKreativitätKreativitätKreativität
21.5.2023
Icon Reading Time
6
min

Hobbys zum Anpacken

Töpfert ihr noch oder tuftet ihr schon? Während der Coronakrise haben viele einen sinnvollen Zeitvertreib gesucht. Manche haben Sauerteig angesetzt und Brot gebacken. Andere ihr Glück im Garten gefunden. Noch immer ist die Liebe zur Handarbeit ungebrochen.

Kürzlich beim Friseur. Das Gespräch auf dem Nebensitz ist lebhaft. Es geht um einen megageilen Haarschnitt und megabock, so einen Haarschnitt jetzt gleich zu bekommen. Und um einen mega Trend, der gerade auf Insta, Tiktok und Pinterest seine Bildspuren hinterlässt: „Tufting“. Alle drehen ihre nassen Köpfe. Tuf was? Die Mittzwanzigerin zeigt Fotos auf ihrem Smartphone. Es sieht wuschelig aus, wie eine Mooslandschaft. Tufting, auf Deutsch Tuften, ist eine Technik, mit der sich flauschige Teppiche herstellen lassen. Dazu spannt man ein Stück Stoff auf einen Rahmen und schießt mit einer Tufting-Pistole, die aussieht wie eine Bohrmaschine mit einem zusätzlichen Haltegriff, Garnschlaufen durchs Gewebe. So entsteht ein weicher „Tuft“ (engl. für „Büschel“), der zum Schluss mit einer Schere oder einem elektrischen Trimmer auf eine einheitliche Länge gebracht wird.

 

Und genau das ist es, was die Kundin am Tufting begeistert. „Das Schnippeln macht mir mega Spaß“ sagt sie. Der Friseur, der den ganzen Tag nichts anderes tut, lacht. Ob er in seiner Freizeit auch Teppichen die Haare schön machen will? Wahrscheinlich eher nicht. Doch bei immer mehr Menschen sind Hobbys, bei denen sie richtig anpacken können, sehr beliebt. Das ist verständlich, da viele das Gefühl haben, fast nur noch am Computer zu sitzen und ihre Zeit in digitalen Welten zu vertütteln. Wenn auf der Arbeit die To-do-Listen immer länger werden und Projekte sich ewig hinziehen, garantiert ein schöner kleiner Teppich, ein duftendes Brot oder die pralle Tomate aus dem Garten ein promptes Erfolgserlebnis. 

Betongießen in der Bar

Basteln, etwas mit den Händen tun, Neues ausprobieren – das begeistert Franziska Möller seit sie denken kann. 2021 hat die Qualitätsmanagerin ihr Hobby zum Beruf gemacht und in der Nürnberger Altstadt die Franmeisters DIY Bar eröffnet. In gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre werden hier Menschen kreativ. Sie können entweder bei Workshops Dinge wie Makrameeknüpfen oder Handlettering lernen. Oder sie suchen sich eine Bastelbox mit Material, Beschreibung und Werkzeug aus und legen vor Ort los. Beton gießen, Badebomben basteln, Glas gravieren oder Metallarmbänder prägen: Neugierige können etwas ausprobieren, ohne selbst teure Geräte kaufen zu müssen. „Viele sind froh, mal nicht am Bildschirm zu hocken und legen meistens auch ihr Handy weg“, sagt Franziska Möller am Telefon. Die handgemachten, nicht zu komplizierten Kreationen, die man mit nach Hause nehmen kann, kämen gut an. Die Besucher*innen, überwiegend Frauen zwischen Mitte 20 und Mitte 40, wollen gerne etwas gemeinsam unternehmen, aber nicht nur ins Restaurant oder in die Kneipe gehen. Ein klarer Fall für die DIY Bar. „Ich bin sehr happy, wie es angelaufen ist“, sagt Franziska Möller. „Ich habe das Gefühl, dass das Handwerken immer mehr kommt.“

Statista, eine deutsche Onlineplattform für Statistik, untermauert diesen Eindruck mit Zahlen. Seit der Coronapandemie hat Kunsthandwerken und Handwerken als Hobby gewaltig zugelegt. Während 2019 nur 13 Prozent angaben, sich mit Holzsäge, Häkelnadel, Bohrer oder Pinsel zu beschäftigen, waren es 2022 schon knapp ein Viertel der Befragten.

Wolke sieben für Hobby-Heimwerker*innen

Szenenwechsel. Werkshalle statt Wohnzimmer. Im Hobbyhimmel im Stuttgarter Industriegebiet riecht es nach Holzspänen und Maschinenöl. In einer ehemaligen Produktionsstätte für Autoteile treffen Geräte in allen Größen auf Werkzeuge in allen Formen. Sebastian lässt gerade am 3D-Drucker, Schicht für Schicht, ein Bauteil wachsen. „Ich möchte für ein Computer-Rennspiel einen Schalthebel und eine Handbremse bauen“, sagt er. Vom Hobbyhimmel ist er begeistert. „Das Konzept ist cool, das Team ist cool.“ Das hört René Rexer gerne. Er ist heute „Thekenheld“, also Ansprechpartner für alle Fragen rund ums Werken. In seiner Freizeit zeigt der Lehrer den Neulingen die Werkstatt, macht Termine für Maschineneinweisungen aus und baut Holzmöbel für zu Hause. Seit rund sieben Jahren schweben Hobby-Heimwerker*innen in Stuttgart Feuerbach auf Wolke sieben, getragen vom „Verein zur Verbreitung Offener Werkstätten“. Die Idee dahinter: Gemeinsam werken und Wissen teilen, ohne viel dafür zu zahlen oder Spezialmaschinen anschaffen zu müssen. Erste offene Werkstätten sind in Deutschland schon seit den 1970er Jahren entstanden. Mittlerweile gibt es bundesweit Hunderte dieser Orte. „Bei unserem Konzept ist Nachhaltigkeit wichtig“, sagt René Rexer. Was bedeutet: selbst bauen statt kaufen, reparieren satt wegwerfen, von anderen lernen und sich weiterbilden. 

 

Im Nebenraum setzt sich eine Gruppe von Frauen Schutzbrillen auf. Sie haben einen Drechselkurs gebucht. „Wir machen Pfeffermühlen, Kerzenständer und Pflanzstäbe“, erklärt Paulina Kondraskov, die Leiterin. Sie zeigt, wie dicke Äste in die Drechselbank eingespannt werden und die Schruppröhre zu halten ist, damit nur Holz und kein Finger abgeschliffen wird. Eine Werkbank weiter schiebt Johannes, ausgerüstet mit rotem Gehörschutz, Holzlatten durch die Tischfräse. „Ich baue ein Stockwerkbett für meine Kinder“, sagt er. Den Plan für die Konstruktion hat er selbst überlegt und aufgezeichnet. Jetzt ist er gespannt, ob alles so hinhaut, wie gedacht.

Liebt unser Steinzeithirn überschaubare Arbeiten?

Vielleicht ist die Liebe zur Handarbeit ganz tief in uns verwurzelt. Laut der Evolutionspsychologie hat die Altsteinzeit unser Gehirn dauerhaft geprägt. Denn länger als zwei Millionen Jahre haben die Menschen in einer überschaubaren, gleichbleibenden Umwelt gelebt. Und waren jagend und sammeln unterwegs – Handarbeit at its best. Ist also unser Steinzeithirn im 21. Jahrhundert überfordert und sehnt sich nach bekannten Tätigkeiten? Zupfen, klopfen, schneiden, formen? Suchen Menschen in einer immer virtueller werdenden Welt nach Erlebnissen im Hier und Jetzt? Wissenschaftliche Belege gibt es dafür nicht, wie ein Uni-Professor, Spezialgebiet Persönlichkeitspsychologie, per E-Mail rückmeldet. Auch steht die Evolutionspsychologie schon länger in der Kritik. Das Gehirn sei nicht nur in alten Schablonen gefangen, sondern reagiere sehr flexibel auf Einflüsse und Situationen.  

 

Häkeln kann Stress abbauen

Eine spannende Entdeckung hat der australische Neurowissenschaftler Stan Rodski gemacht. In seinem Buch „The Neuroscience Of Mindfulness“ beschreibt er, wie Hobbys helfen können, abzuschalten und das Stresshormon Cortisol runterzufahren. Das Buchcover zeigt, sehr passend, ein gehäkeltes rosa Gehirn, das mit einem Wollknäul verbunden ist. Damit uns ein Hobby wieder gechillter macht, sind laut Stan Rodski drei Faktoren wichtig. Die Tätigkeit muss sich wiederholen, ein überschaubares Muster muss sich bilden und man muss das Gefühl der Kontrolle haben. Das hilft dem Geist, ganz im Moment zu sein. Diese Achtsamkeit (mindfulness) wirkt sich wiederum auf den Körper aus – die Muskeln entspannen sich, die Atmung wird ruhig. 

Handwerker*innen sind happy

Auch wenn man es nicht nur als Zeitvertreib, sondern professionell betreibt: Mit den Händen arbeiten macht glücklich. Das hat eine neuere Studie der Ikk Classik gezeigt. Knapp 700 Handwerkerinnen und Handwerker wurden dabei zu ihrer Arbeitszufriedenheit befragt. Rund 87 Prozent sind stolz auf ihren Beruf, aber nur 59 Prozent der Gesamtbevölkerung. 92 Prozent sehen ihr Schaffen als sinnhaft an – dagegen nur 69 Prozent der Nichthandwerker*innen. 

Aber woran liegt das? "Man tut etwas, was jemand braucht und was man am Ende wirklich sehen kann", erklärte Ricarda Rehwaldt, Tischlerin und Glücksforscherin, bei einer Podiumsdiskussion der IKK Classic. "Beim Thema Glück gibt es drei Aspekte, die ganz bedeutend sind: Selbstverwirklichung, Sinnempfinden und Gemeinschaft.“ Und genau diese Punkte kämen im Handwerk zusammen. 

Der Haarschnitt ist fertig. Der Friseur dreht und wendet den Spiegel hinter seiner Kundin. Beide finden: „Sieht mega aus!“ Wiederholungen, überschaubare Muster, Kontrolle – und ein Ergebnis. Das alles fügt sich beim Haareschneiden wie beim Tuften wunderbar zusammen. Nur dass ein getufteter Teppich nicht meckert, wenn ihm die Frisur nicht gefällt. Und das entspannt zusätzlich.

Arrow Icon to enter Aticle

Text von

Annik Aicher

Bilder von

Chris Obrist

Adam Winger

Tincho Franco

Greg Schmigel

Dominik Scythe

charlesdeluvio

Jasmin Schreiber

Patrik László

Werbung

Du hast es geschafft, anscheinend bist du interessiert. Während unserer Recherche haben wir passende Empfehlungen für dich zusammengestellt.

Urban Gardening - Gemüse anbauen ohne Garten

Auch auf noch so kleinem Raum Gemüse anbauen.

Mit ökologischen und zukunftsträchtigen Ideen.

Autor*in: Yohan Hubert
Titel: Urban Gardening - Gemüse anbauen ohne Garten
Verlag: Ulmer Eugen Verlag
Übersetzer*in: Sabine Hesemann
Buchform: Taschenbuch
Erscheinungsdatum: 21.01.2016
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-8001-1267-8

Erkunden*

etepetete - Rette Lebensmittel!

  • Rette Lebensmittel und bewahre sie vor der Tonne
  • In BIO-Qualität
  • Kommt in Plastikfreie Verpackung
  • Das Abo ist Jederzeit kündbar und flexibel pausierbar
  • Kommt in CO2-neutral & ist die Lieferung ist kostenfreie bis vor die Haustüre
  • Erkunden*

    Nachhaltiges Wohnen - 25 internationale Beispiele

    Hier kannst du dir die besten Beispiele für nachhaltiges Bauen ansehen.

    Autor*in: Dominique Gauzin-Müller
    Titel: Nachhaltiges Wohnen - 25 internationale Beispiele
    Verlag: Birkhäuser Basel
    Buchform: Taschenbuch
    Erscheinungsdatum: 12.06.2006
    Auflage: 1. Auflage
    Übersetzer: Marco Braun
    Sprache: Deutsch
    ISBN: 978-3-7643-7466-2

    Erkunden*

    Glücklich ohne Geld!

    Raphael Fellmer hat vor ein paar Jahren den Selbstversuch gewagt, ohne Geld zu leben. Während dieser Zeit spielte auch Containern eine wichtige Rolle.

    Autor*in: Raphael Fellmer
    Titel: Glücklich ohne Geld! - Wie ich ohne einen Cent besser und ökologischer lebe
    Unterstützer-Edition
    Verlag: Redline
    Buchform: eBook
    Erscheinungsdatum: 07.11.2013
    Sprache: Deutsch
    EAN: 9783864146565

    Erkunden*

    Unterstütze Uns!

    Helfe uns Felize.com weiter zu betreiben.

    Und noch viele Podcast Folgen von ,,Edelreudig"

    dem Podcast von Felize zu produzieren.

    Scane den QR-Code oder verwende den Paypal-Link.

    vielen Dank!

    paypal.me/FelizeGmbH

    Erkunden*

    *Die gezeigten Produkte sind passende Empfehlungen zur Geschichte, sogenannte Affiliate Links. Qualität, Nutzen und Transparenz ist uns wichtig.

    Warum Felize gratis ist?

    Arrow Icon to enter Aticle

    Weitere Geschichten über

    Kreativität